Wie ich mir Corona schönrede

„Uns geht es gut“, höre ich mich zum wiederholten Mal diese Woche zu einer Freundin am Telefon sagen. Und es stimmt. Wir haben als Familie endlich Zeit füreinander. Das letzte halbe Jahr war enorm stressig. Unser Ältester in der Probezeit und der Jüngere in der Gymivorbereitung. Jeden Samstag morgen nach dem Frühstück plante ich mit den Kindern, wer wann mit wem lernt. Wofür es den Papa braucht, dessen Zeit ein knappes Gut ist, und was mit mir erledigt werden kann. Jedes Wochenende musste ich meinem Mann die Bitte nach einem gemeinsamen Ausflug abschlagen.

Dann war die Probezeit vorbei, die Gymiprüfung geschrieben und die Corona Krise da. Das erste Wochenende seit Ende August ohne To-Do Liste war gleichzeitig jenes nach der Schulschliessung. Mein Mann und ich konnten endlich eine lange Velotour machen. Die Kinder durften gamen, soviel sie wollten. Herr Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit höchstpersönlich gab ihnen die Erlaubnis dazu.

Am darauffolgenden Homeschooling Montag verdonnere ich beide Jungs zum Lernen. Am Nachmittag kommt dann ein Brief der Schulleitung, in dem steht, dass man auf keinen Fall die Kinder in Eigenregie unterrichten, sondern auf die Aufträge der Lehrpersonen warten solle. Ich lache und erlöse die Kinder subito. Der Älteste hat ohnehin zwei Tage später regulären Unterricht, einfach mit dem Unterschied, dass er sich jetzt im Pyjama vor seinen Laptop setzen kann. Der Schulweg ist plötzlich auf zwei Meter geschrumpft. Wir leben zur Miete in einem Haus mit einem verglasten Innenhof, von meinem Lieblingsplätzchen im Wohnzimmer kann ich ihn am Schreibtisch sehen. Fasziniert beobachte ich die Videokonferenz, in die er sich gerade eingeloggt hat. Gesichter poppen auf dem Bildschirm auf, verstehen kann ich nichts, aber was ich sehe, verblüfft mich. Hat seine Schule das geübt? Es kommt mir vor, als hätten sie alle Vorkehrungen und Pläne für den digitalen Fernunterricht fix fertig ausgearbeitet in der Schublade und nur darauf gewartet, sie endlich anwenden zu können.

Beim Jüngeren ist es noch nicht so ernst. Google Classrooms und Zoom werden installiert. Die Lehrerinnen chatten mit den Kindern, ermutigen sie und bieten einen Kochworkshop an. Die Kinder können nun mittels Zoom, einem Videokonferenz-Tool, miteinander Kontakt aufnehmen und machen rege Gebrauch davon. Sie verlagern das beliebte Pausenplatzspiel „Pflicht oder Wahrheit“ in das digitale Niemandsland. Ich sehe meinen jüngeren Sohn Liegestütze machen – er hat Pflicht gewählt –, dabei achtet er darauf, dass die Tabletkamera seine Turnübung an die Mitspieler*innen überträgt.

Mein Mann muss im Spital seine Abteilung „aufräumen“. Operationen, die unbedingt gemacht werden müssen, finden noch statt. Am Dienstag sagt er allen Patienten, deren Behandlungen verschoben werden können, telefonisch ab. An diesem Tag kommt er sehr deprimiert nach Hause. Die Zahlen der positiv auf Corvid 19 getesteten Erkrankten steigen. Sie steigen exponentiell. Zuerst in China, dann in Italien und jetzt auch in der Schweiz. 2650 positiv Getestete werden an diesem Tag registriert. Noch nie habe ich meinen Mann so angespannt erlebt, in unseren zwanzig Ehejahren nicht, das lässt mich erschaudern. Er starrt plötzlich stumm auf Statistiken, redet wenig und verbietet den Kindern den Kontakt mit ihren Freunden. Nichts und niemand macht meinem Mann Angst. Er strahlt eine Sicherheit und Geborgenheit aus, die auch das Schlimmste ertragbar macht. Kein Wunder, verlangt unser Jüngster nach ihm, wenn er einen Alptraum hat. Zu mir sagt er dann: „Sorry Mama, Papa kann die Monster einfach besser vertreiben als du.“ Das Corona Monster kann auch er nicht vertreiben.

Als Alain Berset am Freitag, den 13. März verkündet, was ich bereits erwartet habe, nämlich dass der Präsenzunterricht an den Schulen bis Ostern ausfallen wird, gehe ich zu meinem Schreibtisch und räume meine Bücher weg. In den nächsten Wochen wird es keinen Platz geben für die Archäologie. Dabei hatte ich mich gerade jetzt darauf gefreut, endlich wieder Zeit für mein eigenes Projekt zu haben. Ich nehme mir fest vor, jeden Tag anzunehmen, egal was er bringt, nichts zu erwarten, nichts zu planen und – für mich am wichtigsten – den Alltag so ruhig wie möglich zu gestalten. Eines weiss ich ganz genau: Ich will keinen Streit. Nicht zwischen den Jungs und schon gar nicht zwischen mir und meinem Mann. Das gelingt auch bis jetzt sehr gut. Sogar so gut, dass mein älterer Sohn erstaunt feststellt, dass wir als Familie ja noch gar nie gestritten haben, obwohl wir ja jetzt immer zusammen sind und im Normalfall schon mal die Fetzen fliegen. Dieser Frieden ist harte Arbeit und die zehrt an mir. Ich merke die Anspannung in meinem Körper, ich sitze auf Nadeln, beobachte die Kinder ganz genau. Kommen sie zurecht mit den Aufgaben? Wer braucht wann wo Hilfe? Wie kann ich den Frust abfangen, bevor herumgebrüllt wird und Türen zugeschlagen werden. Ein Arbeitsblatt muss ausgedruckt werden, aber der Drucker steht im Arbeitszimmer meines Mannes und der ist in einer wichtigen Viedokonferenz. Was machen? Da sein, abfedern, kochen, trösten, uploaden, downloaden, drucken, einkaufen, für Bewegung sorgen ….

Mir geht es gut. Ich mache mir keine Sorgen, dass ich die Corona Krise nicht meistern könnte. Ich mache mir Sorgen, wenn die Kinder wieder in die Schule gehen, die Quarantäne aufgehoben ist und alle zur Normalität zurückkehren. Dann wird das Adrenalin aus meinem Körper weichen. Die Tränen, die ich deutlich spüren kann, werden dann endlich ihren Weg finden. Wenn die Krise vorbei ist, dann werde ich zusammenbrechen.

 

Mutter sein

Mutter sein hält mich jung,

wenn ich meinem Jüngsten zuliebe mit einer Achterbahn fahre, vor der ich furchtbare Angst habe und dann mit ihm vor Vergnügen um die Wette kreische!

Mutter sein macht mich alt,

wenn sich meine Buben um ein Spielzeug streiten, das zuvor monatelang unbeachtet in der Ecke gelegen hat.

Mutter sein macht mich geduldig,

denn es dauert lange, bis Buchstaben zu Worten geformt sind, aus Worten Sätze werden und bis schliesslich die erste Seite gelesen ist.

Mutter sein macht mich ungeduldig,

wenn es draussen dunkel wird und mein Ältester noch nicht zu Hause ist.

Mutter sein macht mich fröhlich,

wenn sich mein Grosser nach dem Mittagessen den Mund abwischt und sagt: „Wow, das war wieder lecker heute!“

Mutter sein macht mich traurig,

wenn mein Kind Streit hat mit einem Mitschüler und ich darf mich nicht einmischen.

Mutter sein gibt mir Kraft,

weil ich morgens aufstehen und für die Kinder Frühstück und Znüni parat machen muss. Liegenbleiben ist keine Option.

Mutter sein raubt mir meine Kraft,

wenn ich schon wieder Wäsche sortieren muss! (Habe ich das nicht erst gestern gemacht?)

Mutter sein, es ist das volle Leben und ein verpasstes dazu.