Was für meinen Sohn Fortnite, ist für mich Netflix. Abends, wenn das Tagwerk erledigt ist und die Kinder schlafen, giesse ich mir ein Glas Rotwein ein, klappe meinen Laptop auf und tauche ab in die wundersame Welt der Serien. Meist habe ich meinen Konsum im Griff und nach einer Episode ist Schluss. Wie sage ich doch in solchen Situationen immer zu meinen Kindern: „Du kannst ja morgen wieder gamen und youtube schauen“. Aber die britische TV Produktion „Bodyguard“ faszinierte mich derart, dass ich schon kurz nach dem Erscheinungsdatum auf Netflix alle sechs Episoden gesehen hatte. Gott sei Dank war es das Wochenende mit der Zeitumstellung! Da fiel es nicht so ins Gewicht, dass ich bis halb zwei Uhr morgens gebannt PS David Budd auf seinem Höllenritt durch Intrigen, Verschwörung und Korruption der britischen Regierung, des Geheimdienstes und der Polizei zusah.
Eigentlich sind Agentenfilme in denen mehr geschossen als geredet wird gar nicht mein Ding – sie sind eher das Metier meines Mannes. Ich schaue lieber ‚Teetassenfilme’ – So der Ausdruck meiner Söhne für mein Lieblingsgenre. Das rührt daher, dass sie mir während meiner „Downtown Abbey“ Phase immer just dann über die Schulter sahen, als im Salon des Anwesens von Lord Grantham Tee aufgetragen wurde.
Warum also hat mir „Bodyguard“ so gut gefallen, wo ich doch mit Actionthrillern gar nichts anfangen kann? Der Plot ist spannend, ohne Zweifel. Aber noch spannender finde ich die Tatsache, dass viele Hauptrollen mit Frauen besetzt sind. Frauen in jedem Alter und verschiedener ethnischer Zugehörigkeit. (Letzteres gilt übrigens auch für die männlichen Darsteller!) Frauen, mit denen ich mich identifizieren kann, weil sie mir ähnlicher sind als die typischen Actionheldinnen. Angelina Jolie ist zwar auch über vierzig, aber rein äusserlich habe ich mit ihr etwa so viel gemeinsam, wie eine Designer–Zitruspresse mit der Plastikversion beim Grossverteiler. Ich nehme den Frauen in „Bodyguard“ die Rolle ab, die sie spielen. Egal ob es sich um die Chefin des Polizeidepartments handelt, um die Bombenentschärferin oder die Ermittlerin in Polizeimontur im Einsatzteam. Welch eine wohltuende Abwechslung zu den üblichen Rollen von Frauen in TV Serien, deren oberste Prämisse Jugendlichkeit und Attraktivität zu sein scheint. Denken sie nur an die immer perfekt geschminkte Ermittlerin Kalinda Sharma mit ihren sexy Outfits aus der amerikanischen CBS Produktion „The Good Wife“. Jetzt mal ehrlich, wie bitte soll man in Stiefeln mit derartig hohen Absätzen einen Verdächtigen verfolgen können?
Die Frauen in „Bodyguard“ sind kein schmückendes Beiwerk, sie sind handelnde Personen mit ambivalenten Charakteren. Daher ist es nur folgerichtig, wenn sie ebenso korrupt und machtbesessen sind, wie ihre männlichen Kollegen. Es kann zwar nicht das Ziel des Feminismus sein, dass Frauen genauso häufig Straftaten begehen wie Männer, aber in letzter Konsequenz bedeutet Gleichberechtigung auch die Möglichkeit, dass sich das nur vermeintlich schwache Opfer als Täterin entpuppt.